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Liebe, Wertschätzung und spirituelle Harmonie

Redaktion
Mon, 19 Jun 2017 13:27:16 GMT

Erfahrung mit Alzheimer 29.04.2016 Ein Leser von alzheimer.ch betreute seine an Alzheimer erkrankte Frau. Er weist auf einen wichtigen Aspekt der Krankheit hin, der seiner Ansicht nach vielen Menschen nicht bewusst sei. (Redaktion alzheimer.ch). Hier ist sein Text: Herbst 1997, ein schöner Abend in einem Ferienort am Pazifik. Wir warten auf ein Taxi, um im nahegelegenen Städtchen eine gute Zeit zu verbringen. Es herrscht eine lockere Stimmung in unserer Runde, unsere Tochter und Schwiegersohn, meine Frau und ich. In einer kurzen Diskussion zwischen Mutter und Tochter, wird mir von einer Minute zu Andernklar, dass bei meiner Geliebten Alzheimer ausbricht. Nun geschieht bei mir, in Extrem-Situationen, immer, etwas Eigenartiges. Mein Denkvorgang schaltet in einen „Zustand“, als ob ich neben mir stehen würde. Ich entschied, über meine Feststellung, kein Wort zu verlieren und dass der Satz „ich habe dir doch gesagt“, von mir, nie ausgesprochen wird. Andernfalls wäre d ie schöne Ferienstimmung vorbei gewesen. Unser Glück, wenn man bei dieser Krankheit noch von Glücksprechen kann, bestand darin, dass unsere Beziehung immer von Liebe und gegenseitiger Wertschätzung getragen wurde. Das Wort „Alzheimer“ war für mich tabu. Der Alltag verlief, in den ersten Jahren, völlig normal weiter (sie war eine wunderbare Mutter, Geliebte, Hausfrau und Köchin). Als sich, mit den Jahren Erinnerungslücken vermehrt zeigten und auch die Physis schwächer wurde, übernahm ich, über das Argument der physischen Hilfe, nach und nach das Kochen und die häuslichen Arbeiten, wobei meine Geliebte immer mit einbezogen blieb, denn ich sah und sehe es heute noch so, dass, bei dieser Krankheit, die Erhaltung des Selbstwertgefühls von enormer Wichtigkeit ist. Wir begaben uns auch praktisch jeden Tag, zum Einkauf und einem Gespräch mit Bekannten, in einem Cafe, ausser Haus. Zudem erlebten wir weiterhin die volle Harmonie mit unseren jungen Familien. Eine physische Unterstützung war, auf Grund der Entfernungen, leider nur bedingt möglich, Ausland und Zürich, aber Ferien und Familientreffen wurden von ihnen, über all die Jahre, so organisiert, dass wir beide voll integriert waren. Harmonie in der Familie ist, in dieser Situation, ein grosses Gut. Eines war mir und ist mir, für immer, bewusst. Das grösste Geschenk, an eine Patientin in Partnerschaft, ist die Gewissheit, dass sie auf ewig (ein grosses Wort) die Geliebte bleibt. Unserem Hausarzt und Freund äusserte ich einmal meine Ansicht, dass bei dieser Krankheit, mit viel Liebe, die Beziehung erhalten bleibt. Seine Antwort: „Das ist interessant, vor Kurzen habe ich das in einem Fachbuch gelesen.“ Und der Verlauf der Krankheit gab uns Beiden recht, denn als Erstes baut die Erinnerung auf rationaler Ebene ab, wobei die Betroffenen nicht „dumm“ werden, denn es ist ihnen bewusst, dass das Wissen vorhanden ist, aber die Verbindungen unterbrochen sind. Für sie ein katastrophaler Zustand der immer wieder zu depressiven Momenten führt. Anderseits ist der emotionale, intuitive Teil weit weniger betroffen. Dabei werden sie absolut ehrlich denn die konventionellen Hemmungen fallen weg. Dies zeigt sich bei Paaren, die vor der Erkrankung, mehr über Konventionen, als durch Liebe verbunden waren. Die Äusserungen die man, als Aussenstehender, mit bekommt, können sehr brutal und schockierend sein. In den elf Jahren der Krankheit fiel zwischen uns kein verletzendes Wort. Im Gegenteil, unsere Beziehung wurde, je länger die Krankheit fortschritt, umso stärker von Liebe getragen und entwickelte sich letztlich zu einer „spirituellen“ Harmonie. Etwas das mir, heute noch, wie ein „Wunder“ erscheint, denn erklären, was mit uns geschehen ist, kann ich nicht. Mit ein Grund ist, vielleicht, dass ich meine Geliebte, bis drei Monate vor ihrem Heimgang, zu Hause, praktisch ohne physische Hilfe, begleiten durfte. Das grösste Geschenk das ich erhalten durfte, war der Wiedersehens-Händedruck den mir diese wunderbare Seele, am Abend, vor ihrem Heimgang reichte. Sprechen konnte sie nicht mehr, denn sie lag zwei Tage in Agonie. Seit einiger Zeit ist, scheinbar, auch für die Medien, Alzheimer aktuell geworden. Dabei fällt mir auf, dass, Stunden und Seiten lang, über die Belastung der Angehörigen und des Pflegepersonals geschrieben und diskutiert wird, aber die Situation der betroffenen Patienten wird sehr dürftig behandelt. Für jemanden der dies hautnah erlebt hat, völlig unbegreiflich.